Lernstandserhebungen – Relevante Diagnose in der Pandemie?

Die Schüler und Schülerinnen des 9. Schuljahres unserer Schule haben im September an den zentralen Lernstandserhebungen in den Fächern Englisch und Mathematik teilgenommen und nun im Dezember die Ergebnisse erhalten.

Ursprünglich waren die Lernstandserhebungen für Februar geplant, sind aber durch den Lockdown verschoben worden.

Lernstandserhebungen sind zentral erstellte Aufgaben für das 8. Schuljahr in den Fächern Mathematik, Deutsch und Englisch. Schulen nehmen in der Regel jährlich an einem Fach teil, können aber auch an allen 3 Fächern teilnehmen. Darüber entscheiden die Fachkonferenzen.

Die Lernstandserhebungen im September fanden unter der Besonderheit statt, dass die betreffenden Schülerinnen und Schüler sich von Dezember bis Mai im Distanzunterricht befanden. Somit sollten die Ergebnisse auch vor dem Hintergrund der Pandemie betrachtet werden. Es sollten seitens des Ministeriums damit auch Lernrückstände erfasst werden. (Siehe auch: https://deutsches-schulportal.de/bildungswesen/wie-in-den-bundeslaendern-lernrueckstaende-erfasst-werden/)

Für unsere Schule kann man feststellen, dass es im Durchschnitt keine Lernrückstände gab, sondern einige Schülerinnen und Schüler überdurchschnittlich gute Ergebnisse erzielten und teilweise signifikant über dem Gesamtschnitt des „korrigierten Landesmittelwert“ lagen. Der Vergleich mit einem korrigierten Landesmittelwert ist insoweit aussagekräftiger als beispielsweise Prüfungs- oder Abiturergebnisse, da die Schüler*innen unserer Schule nicht mit dem gesamten Durchschnitt, sondern mit Klassen, die ähnlich zusammengesetzt sind, verglichen werden. Von daher könnte man sagen, dass die Schüler*innen der 9. Jahrgangsstufe die Zeit des Lockdowns, zumindest was die Leistungen in Mathematik und Englisch angeht, gut überstanden haben. Euphorisch kann man darüber jedoch nicht sein, denn es gab auch einzelne Schülerinnen und Schüler, die die Mindeststandards in einem der Fächer nicht erfüllten, sodass für diese Schüler*innen nun gesondert für Förderung gesorgt werden muss. Auch wenn in diesen Fällen die Ergebnisse nicht nur allein auf Corona zurückzuführen waren, sondern auch individuelle Gründe hatten, war die Homeschooling-Zeit im Frühjahr für fast alle Schüler und Schülerinnen auf sozialer und emotionaler Ebene eine hohe Belastung.

Die Folgen lassen sich kaum bis gar nicht durch Instrumente wie Lernstanderhebungen erfassen, sondern nur in vielen Einzelgesprächen und im direkten Kontakt erspüren oder bei gruppendynamischen Aktivitäten, wie beispielsweise bei den Gruppenfahrten, beobachten. Im Bereich der sozial-emotionalen Entwicklung scheinen die Folgen der Pandemie wesentlich größere Schäden hinterlassen zu haben als in den standardisierbaren Schulfächern. Gerade für Jugendliche gilt: „Schule muß sich dessen bewußt sein, daß sie ein sehr wichtiges Lernfeld der Identitätsfindung und der Entwicklung von Lebensprojekten ist. Sie eröffnet viele Möglichkeiten, Kompetenzen zu erwerben, die eigenen Interessen kennenzulernen und sich über diese Erfahrungen ein stabiles Ich-Ideal aufzubauen. Dies ist besonders dann der Fall, wenn nicht nur "akademische Erfahrungsfelder" angeboten werden, sondern auch sportliche, musische und soziale.“ (aus: Helmut Fend: Entwicklungspsychologie des Jugendalters, S.470)

Dass es sinnvoll sein kann, (nicht nur so lange die Pandemie noch nicht überwunden ist, sondern auch darüber hinaus) den Fokus mehr auf sportliche, musische und soziale Angebote zu legen und etwas mehr zu investieren, ist sogar ein wenig bis zur Bildungspolitik durchgedrungen, die derzeit alles daransetzt, dass Schulen nicht wieder geschlossen oder von ihr Programme wie „Löwenstark“ aufgelegt werden. (Siehe auch: https://kultusministerium.hessen.de/Programme-und-Projekte/Loewenstark/Das-ist-Loewenstark)

Schließlich lässt sich zusammenfassen, dass die Lernstandserhebungen sicherlich ein hilfreiches Instrument sind, um Ministerien Einblicke in den Leistungstand von Schülergenerationen in Bezug auf wenige, kleine Ausschnitte der schulischen Arbeit zu gewähren oder Lehrkräften ein Feedback zum LernSTAND einer Klasse in Relation zum Gesamtsystem zu geben. Sie sind jedoch kein adäquates Diagnoseinstrument, um den ZuSTAND einzelner Schüler*innen und Schüler zu beschreiben und „geeignete Maßnahmen“ abzuleiten. Dies kann nur durch individuelle Zuwendung und vertrauensvolle Beziehungen in einer Schule geschehen, die vielfältige Angebote macht, die sich eben nicht durch standardisierte Verfahren erheben lassen.

Diana Dimitrov, Lernstandskoordinatorin