Fremdsprachentagung am Montessori-Zentrum

„The greatest sign of success for a teacher … is to be able to say, the children are now working as if I do not exist.” Zu Deutsch: “Der größte Beweis des Erfolges eines Montessori-Pädagogen ist wohl der Moment, wenn er sagen kann, dass die Kinder nun arbeiten, als ob er nicht existiere“.

Dr. h. c. Leni Dam, Educational Adviser, University College Copenhagen, Denmark

Über sechzig PädagogInnen aus ganz Deutschland waren am ersten Juniwochenende nach Hofheim angereist, um einem Vortrag der aus Dänemark kommenden Referentin Leni Dam zuzuhören. Dieser bildete den Auftakt für die vom MZH organisierte zweitägige Fremdsprachentagung, die den Ansatz des Autonomen Sprachenlernens (AFL) in den Fokus stellte: Eine besondere Herausforderung an alle Kräfte an Montessori Schulen und vor allem an diejenigen im Fachbereich der Fremdsprachen, da Maria Montessori, im Gegensatz zu anderen Gebieten, kein eigenes Konzept des Fremdsprachenlernens entwickelt hat.

Die Referentin Leni Dam sorgte am Freitagabend für einen hochkarätigen Vortrag mit Zwischenaktivitäten. Anschließend konnten die PädagogInnen am Samstagmorgen in einer Podiumsdiskussion ihre Fragen mit Leni Dam und den Expertinnen aus anderen Montessori-Einrichtungen klären, danach in diversen Workshops arbeiten, das Konzept des AFL reflektieren und ihre eigene pädagogische Praxis weiterentwickeln. Diese wertschätzende Begegnung bot nicht allein die Möglichkeit zum wertvollen Austausch, sondern gab die Gelegenheit, das Bewährte in der eigenen Praxis aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten und mit neuen Ideen und Anregungen anzureichern. Auch wurden dabei wichtige Grundsätze diskutiert: z.B. wurde die Frage, ob es notwendig sei, eine Fülle von Materialien, die für die Altersstufe der bis zu 12-Jährigen in der Montessori-Praxis verwendet werden, auch für den Fremdsprachenunterricht zu erstellen, mit einem klaren „Nein“ beantwortet. Viel wesentlicher sei, so Dam, die Kommunikation zu fördern und die Schüler selbst ihre „Materialien“ in Form von Sprachprodukten (z.B. Wort-Bildkarten… etc.) erstellen und somit ihren eigenen Wortschatz, geleitet an eigenen Interessen, aufbauen zu lassen.  

Zum Thema „Kommunikation“ forderte Leni Dam die Kollegen auf: „Never ask a question that you answer yourself.“ („Stelle niemals eine Frage, die du selbst beantworten kannst.“) Schüler und Schülerinnen (SuS) sollten vor allem mit authentischer Sprache und Themen in Berührung gebracht werden, die sie wirklich interessieren. Es ist die Aufgabe der Lehrkräfte, Letzteres herauszufinden und sich mit den SuS gemeinsam auf die Suche nach geeigneten fremdsprachlichen Materialien zu begeben. Dazu gehörten vor allem am Anfang leicht verständliche Filmsequenzen, Lieder, Geschichten oder vereinfachte Lektüren und Reader.

Bei diesem Ansatz nehmen die Lehrkräfte die „Ko-Lerner-Rolle“ in Bezug auf den einzelnen Lerner ein, um insbesondere im Rahmen des sog. „Classroom-Managements“ die Prozesse der Lerner untereinander zu steuern und mit gemeinsam verhandelten Regeln abzusichern. Hierbei ist ein weiterer wichtiger Schlüssel im Ansatz des autonomen Fremdsprachenlernens zu sehen: Die Sprache dient in erster Linie der Kommunikation. Die Anleitung der anfangs vereinfachten Kommunikation in der Fremdsprache sowie deren Weiterführung in Situationen ohne Anwesenheit der Fremdsprachenlehrkraft scheinen für die Montessori-KollegInnen eine der größten Herausforderungen zu sein. Nichtsdestotrotz, so die TeilnehmerInnen der Tagung, passe der Ansatz des autonomen Fremdsprachenlernens hervorragend in eine Montessori-Lernumgebung. Eine Kollegin des Montessori-Zentrums, angeregt durch Leni Dams Hinweise, setzte ihre neuen Erkenntnisse am nächsten Tag in die Praxis um und war völlig überrascht, welchen Unterschied es machte. Sie meinte dann: „Ich habe 15 Jahre lang teilweise bis in die Nacht getippt, gedruckt, geschnitten, laminiert, geklebt und so Materialien für den Fremdsprachenunterricht hergestellt. Das war ja gar nicht nötig – es geht eigentlich so einfach …“ 

Vielleicht lohnt es vor diesem Hintergrund, doch noch genauer hinzuhören, was Montessori-Pädagogik bedeutet?

Nur an wenigen Stellen hat sich Maria Montessori zum Fremdsprachenlernen geäußert. In ihrem Vortrag von 1919 hieß es „[…] ich würde gern erläutern, dass mein System oder meine Methode oft missverstanden wird, insbesondere von der breiten Öffentlichkeit, die nicht speziell in Erziehungstheorien geschult ist. Beispielsweise wurde ich gefragt, ob ein Engländer, der den Wunsch habe, eine Fremdsprache zu lernen, sagen wir Italienisch, sie schneller nach meiner Methode als nach der herkömmlichen lerne. Nun in dem Sinne, in dem unterschiedliche Methoden für den Fremdsprachenunterricht hier verstanden werden, ist meine Methode überhaupt nicht betroffen. Es wird eine allgemeine geistige und moralische Entwicklung angestrebt, nicht ein gebrauchsfertiges Verfahren, mit dessen Hilfe man ein spezifisches Thema schnell zusammenstellen, für eine Prüfung pauken kann oder Ähnliches. Meine Methode ist weder ein System des Gedächtnistrainings noch ein mechanisches Verfahren, mit dem man das Tempo der geistigen Arbeit beschleunigen kann. […] Außerdem wird Kindern, während man sie anleitet, niemals etwas befohlen. Sie wählen ihre eigenen Gegenstände und lernen über sie und von ihnen, was sie können; […] Vor allem wird die Erziehung ohne Zwang, die Entwicklung von Willens- und Tatkraft betont. […] Kinder, die nach dieser Methode großgezogen wurden, haben ihre Fähigkeiten so weit entwickelt, dass sie in der Lage sind, jedes neue Studium, das ihnen begegnet, anzugehen, indem sie ihre voll entwickelten Potentiale dafür einbringen. […] Betrachten wir den Engländer, der gerne Italienisch lernen möchte, den ich anfangs erwähnte. Wenn er ein Montessori-Schüler ist, bringt er für sein Studium einen konzentrierten Willen, ein geschultes Gedächtnis, eine vollentwickelte Denk- und Urteilsfähigkeit mit; und dementsprechend ist er besser vorbereitet, mit den Schwierigkeiten umzugehen, die eine Fremdsprache mit sich bringt.“ Aus: Montessori, Maria; von der Kindheit zur Jugend, Herder 2015, S. 345-347.

So könnten die Anregungen, die Anika Albrecht und Natalia de Olavarrieta von ihrem Projekt der „Explorer oft the World“ aus Berlin gaben, genauso wichtige Hinweise liefern, dass Fremdsprachenlernen vor allem durch authentische Kommunikation in echten Anlässen und durch Begegnungen der jungen Menschen initiiert, angeregt und befördert werden kann (Siehe hinzu: http://montessori-stiftung.de/projekte/internationales/). 

In eine ähnliche Richtung ging eine weitere Anregung, die Nadja Lentzen, frisch zurückgekehrt aus Rom, beisteuerte: Ein Hinweis auf ein internationales Projekt Montessori Model United Nations (MMUN), das im Gegensatz zu den zahlreichen existierenden anderen Model United Nations (MUN), auf junge Menschen im Alter von 9-15 Jahren ausgerichtet und mit der Werteorientierung der Montessori-Pädagogik verknüpft wird (https://montessori-mun.org/). 

Die Inspiration zu authentischer Kommunikation im Klassenraum betonte ebenfalls Timothy Philipps vom National Geographic, der in einem kurzen Impulsvortrag die TeilnehmerInnen über die Kraft von Bildern überzeugte und dabei an die Lehrkräfte appellierte, Kinder und Jugendliche im kritischen Umgang mit der bildgewaltigen medialen Welt zu sensibilisieren (http://ngl.cengage.com/). 

Selbstverständlich konnten innerhalb von zwei Tagen nicht alle Fragen geklärt und die Bedürfnisse in Bezug auf Fremdsprachen und Montessori gestillt werden. Wer sich intensiver mit dem Thema befassen möchte, hat zum einen die Möglichkeit, sich in dem von Leni Dam herausgegebenen Buch (bestellbar direkt bei Leni Dam unter: lenidam@hotmail.com) weitere Ideen und Anregungen zu beschaffen.

Wer noch weiteren Lese- und Fortbildungsbedarf verspürt, kann das zum anderen bei der Lektüre des im Juli erscheinenden Buches Englisch lernen nach Maria Montessorioder beim Fortbildungskurs, der von einer der Autorinnen, Birgitta Berger, ab April 2017 in München durchgeführt wird (https://www.amazon.de/Englisch-lernen-nach-Maria-Montessori/dp/3451328054/, http://www.montessoribayern.de/bildungsakademie/aktuelle-kurse/neue-zukuenftige-kurse.html).

(16.06.2016)